Adoration

Altar to a broken heart.

Die Rolle der Venus seit der Renaissance

Die gefallene Gottheit

Helena Eribenne

 

Was könnte schlimmer sein, denn als Engel vom Himmel zu fallen und ein Mensch zu werden? Wer würde denn so etwas tun? Wer würde sich dafür entscheiden, seine/ihre Göttlichkeit aufzugeben, einen sicheren Platz im Himmel, und ein bloßes Wesen aus Fleisch und Blut zu werden (ohne Möglichkeit auf Rückkehr)? In der Bibel steht geschrieben, dass Engel tatsächlich vom Himmel gefallen sind, auf die Erde gekommen, um ein weiteres Mal zu (ver)fallen, indem sie sich verlieben. Die Engel wollten Menschen heiraten. Venus ist die römische Göttin der Liebe, aber die Vorstellungswelt des 19. Jahrhunderts brachte sie geradewegs zur Erde, indem man jede Frau Venus nannte, welche Männer erotisch ansprach – und eine Menge in ihren Bann ziehen konnte. Venus wurde dann später zu einem allgemeinen Ausdruck für weibliche Performer, die eine (aus einem westlichen Blickwinkel gesehen) exotische Aura umgab. Die legendäre amerikanische Tänzerin und Spionin für die Alliierten im Zweiten Weltkrieg, Josephine Baker, wurde die Schwarze Venus gennant. Ungeachtet dessen, dass sie für die Kameras schielte und Grimassen zog, musste es einfach Venus sein für die einstmalige Protagonistin der Harlem Renaissance in New York. Aus ihrem Heimatland Südafrika nach Großbritannien und später Frankreich gebracht, wurde Sara Baartman in einem Zirkus als Freakshow Act ausgestellt. Sie wurde gezwungen, nackt aufzutreten, sodass ihre afrikanische Figur begafft werden konnte, und abschätzig als Hottentotten Venus tituliert. Greta Garbo repräsentierte aufgrund ihrer schwedischen Herkunft eine andere Version von Exotizismus, welche die Leinwände Hollywoods mit der göttlichen Aura einer kühlen Unnahbarkeit statt einer warmen Ausstrahlung aufleuchten ließ, und wurde folglich die Stockholm Venus genannt. Seit dieser Zeit scheint man praktisch jedwede Darstellung einer nackten Frau auf Venus bezogen zu haben.

Die bei Ausgrabungen entdeckte Statue aus Galgenberg, auch als Venus vom Galgenberg bekannt, bekam in weiterer Folge den Spitznamen Fanny vom Galgenberg, nach der österreichischen Tänzerin des 19. Jahrhundert, Fanny Elssler. Sie könnte heute mit dem Popstar Madonna verglichen werden, denn beide waren gleichermaßen bekannt wie berüchtigt für ihre skandalösen Bühnenshows. Fanny Elssler wurde einst von dem Litaraturkritiker Theophile Gautier wie folgt beschrieben:

Venus muss wohl in der Oper in der Gestalt und unter dem Namen von Fanny Elssler tanzen, eine gänzlich passende Tätigkeit für eine gefallene Gottheit des antiken Olymps.[1]

Unrein! riefen sie, aber war es nicht ein Spaß! Venus kam krachend zur Erde und ist jedoch ein falsch verwendeter Begriff, zumal die Statue aus Galgenberg viele Jahrtausende vor der römischen Göttin der Liebe existiert hat. Nichtsdestotrotz ist das Objekt aus Galgenberg in Niederösterreich zu einer populären Kulturikone geworden. Sie wurde praktisch zu einem Popstar, und wird in der Kultur unserer Zeit als Vision eines gefallenen Engels verehrt. Sie scheint wie eine Tänzerin zu posieren, obwohl ihr gehobener Arm leicht für den Flügel eines Engels gehalten werden kann, da er durch „den Fall“ am Ellenbogen abgetrennt worden ist. Sie ist jedoch nicht en pointe, da sie über keine Füße verfügt, noch jemals welche besessen hat[2]. Obwohl sie in mehreren Stücken aufgefunden wurde, setzte man sie sorgsam wieder zusammen, um die einzigen Dinge zu erzeugen, die wir mehr verehren als Liebe und Fruchtbarkeit – Macht und Geld.

Die Mehrzahl der Frauen im öffentlichen Fokus, die Performerinnen, Sängerinnen, Schauspielerinnen und Tänzerinnen scheinen Venus verkörpern zu müssen, zumindest jene, die Stars oder in der Tat Sexsymbole sein wollen. Eine Frau, die auf die Bühne drängt und ein Star sein will, ist gewissermaßen im Geiste von Venus erzogen; und die Öffentlichkeit beansprucht Teilhabe an ihren privaten Lebensaufgaben – heiraten, Kinder kriegen, geschieden werden, Liebhaber haben, aber zuallererst sollte sie das Patriarchat beschämen, indem sie unglaublich erfolgreich wird. Sie wird als Idol verehrt, aber dann stellt sich heraus, dass sie wirklich eine von uns ist – bloß ein Mensch. Dieser Typ von Venus wird zum Opfer am Altar der Popularkultur, weil sie eine von uns ist – bloß ein Mensch, fragil und voller Sehnsucht nach Liebe und Akzeptanz. Wir beklagen es, wenn sie tragischerweise jung stirbt, aber wir finden schon bald eine andere venusartige Figur, die ihren Platz einnimmt, und der gesamte Kreislauf beginnt wieder von vorn. Ähnelt unsere menschliche Venus, der Star, der ein himmlisches Wesen wird, vor und nach ihrer Phase des gefallenen Idols, nicht Ikarus, der zu nahe zur Sonne flog und vom Himmel zu Boden, in den Tod gefallen ist? Sie sind wie Supernovæ, selbstzerstörerische Sterne, die hell, intensiv und schnell verbrennen. Amy Winehouse entspricht diesem Typ von Venus. Sie wurde angebetet und verehrt und erlangte weltweiten Ruhm und Respekt für ihr Talent. Leider wogen ihre zahlreichen Probleme so schwer, dass die öffentliche Rolle zu einer erdrückenden Last für sie wurde. Wie viele andere, so zum Beispiel Whitney Houston, opferte sie sich am Altar der Celebrity Culture, während die Pressephotographen munter ihre Bilder schossen. Aber ist es die Öffentlichkeit, welche ihre Scheiterhaufen errichtet?

Ein anderer Typ von Venus blüht unter dem öffentlichen Blick erst so richtig auf, ihre Rakete schießt zum Mond, und was noch wichtiger ist, verharrt dort in gleichmäßigem und hellem Glanz. Nehmen wir zum Beispiel die Sängerin Beyoncé. Sie ist eine veritable Pop-Ikone und wird von ihren Fans wie eine Göttin verehrt. Dies so sehr, dass als der Herzog und die Herzogin von Cambridge – Prince William und Kate Middleton – die frohe Nachricht, dass sie ein drittes Kind erwarten, am 4. September 2017 kundgetan hatten, Beyoncé-Fans in höchster Anmaßung zu twittern begannen. Sie beschwerten sich, dass es unhöflich sei, diese Neuigkeiten ausgerechnet an so einem Tag kundzutun. ‚Wie unangebracht!‘ Ihre Empörung lag in der Ansicht begründet, dass das Paar in weiser Umsicht eine andere Gelegenheit als gerade Beyoncés Geburtstag hätte wählen sollen, um sein Glück mitzuteilen! Beyoncé ist gesund und munter und wird, mehr noch, ungebrochen verehrt von ihren Fans. Ihr Stern leuchtet hell, oder sollte man eher sagen, glimmt stetig auf mittlerer Flamme.

Sterne sehen

Icarus von Henri „Matisse“, aus seinem 1947 erschienenen Künstlerbuch „Jazz“ ergänzt die prähistorische Statue aus Galgenberg. Wie jene hat auch Ikarus einen Arm erhoben, während der andere gesenkt ist. Der Kopf ist ebenfalls leicht zu einer Seite hingeneigt. Der Torso ist in leichter und schwebender Haltung, und deutet ebenso wie die Galgenbergerin auf einen Tanz hin und ist ebenfalls angewinkelt. Weiters ist sowohl bei der Galgenberger Statue als auch bei Matisses Abbildung das eine Bein gerade, während das andere leicht angewinkelt ist. Dies deutet ebenfalls auf eine Bewegung hin. Das Abbild von Ikarus scheint nach unten zu gleiten, und den fallenden Sternen, die ihn umgeben, wohnt eine symbolische Funktion inne. Ikarus vollführt einen Todestanz mitten in der Luft. Genau wie die Galgenberg Figurine ist auch Ikarus fußlos. Beide Figuren verfügen über keine Füße, sind jedoch Tänzer.

Profan oder heilig?

Venus soll heilige Liebe, Sex, Schönheit, Begierde, Fruchtbarkeit, Wohlstand und Sieg verkörpern, und sie ist auch die Göttin der Prostitution. Sie war die ideale Frau, sowohl sexy als auch ein wenig angsteinflößend. Aber sie war die Frau aus Männerträumen. Nichtsdestotrotz schuf dies ein Dilemma in der Vorstellungswelt bourgeoiser Franzosen des 19. Jahrhunderts, denn Ehefrauen waren zur Zeugung von Erben gedacht, Geliebte hingegen zum reinen Vergnügen. Dies bedeutete, dass Liebe in zwei Kategorien aufgetrennt werden musste, entweder heilig oder profan, weiters zwischen zwei Frauen. Ehe, Stabilität und Kinder für die Ehefrau, und Begierde und Sex für das gefallene Weib.

Die Trennung, die zwischen der Sexualität der ehrlichen Frau und jener des lockeren Weibes gezogen wurde, war bis zu einem gewissen Grad eine soziale Distinktion, getarnt als sexuelle: Die Unterscheidung war gleichermaßen jene zwischen bourgeoiser und proletarischer weiblicher Sexualität. Die weibliche Unterschicht und die sexuell Abweichenden wurden als ident gedacht (und erhofft).[3]

Dessenungeachtet konnte dieselbe Bauersfrau für einen hochgestellten Bürger oder sogar (königlichen) Aristokraten die Liebe seines Lebens werden; es war lediglich die Frage der richtigen Kleider, Versorgung und sozialen Fähigkeiten. Diese Frauen konnten, obwohl aus der Arbeiterklasse stammend, hochklassige Prostituierte – Kurtisanen oder grand horizontals genannt – und von der gleichen Polizei äußerst zuvorkommend im Vergleich zu sogenannten Straßenmädchen behandelt werden. Diese ärmere Schwester der Kurtisane hatte es viel schwerer, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, da sie ihre Dienste nur unauffällig anbieten konnte. Die Kurtisane jedoch konnte sich tatsächlich verheiratet mit dem Höchstbieter oder als Mutter seines unehelichen Kindes wiederfinden.

Himmelskörper

Der Planet Venus wurde nach der römischen Göttin der Liebe benannt, weil er dem bloßen Auge die Eigenschaften von Schönheit und Anmut bietet, welche auch der Gottheit zugeschrieben werden. Er scheint sehr hell und wurde einstmals für zwei verschiedene Planeten gehalten, den Morgenstern, der vor Sonnenaufgang strahlt, und den Abendstern, welcher nach Sonnenuntergang erscheint. Die Griechen begriffen schlussendlich um 350 v. Chr., dass es sich dabei um ein und denselben Planeten handelte, obwohl die Venus heute noch als Abendstern bezeichnet wird. Bei genauerer Betrachtung entpuppt sich die Venus als gänzlich anderer Himmelskörper als sie scheint. In Wirklichkeit ist sie von dichten Wolken umhüllt, die unaufhörlich schwefelhaltigen Regen vergießen. Dieser Regen schafft es nicht bis zur Oberfläche, da er aufgrund von Temperaturen um 467 Grad Celsius in der dichten Atmosphäre verdampft. Venus ist wortwörtlich ein Feuerball, und manche vergleichen sie trefflicherweise mit der Hölle, zumal dort auch Blei innerhalb weniger Sekunden schmilzt. Wenn ein Mensch es jemals schaffen würde, dort zu landen, wäre der Atmosphärendruck so schwer, dass er jeden seiner Knochen brechen würde. Soviel zum trügerischen schönen Schein eines Sternes.

Venus als Mutter

Venus wurde auch als Mutter verehrt, und nicht nur als Göttin der Schönheit, als exotische, sexualisierte Performerin oder als dem Untergang geweihtes Weib. Es war Julius Caesar, der den Kult der Venus als Mutter, Göttin der Ehe und Häuslichkeit einführte, und sie wurde Venus Genetrix (Gründerin der Familie) genannt. Dies scheint auf den ersten Blick seltsam, da die römische Mythologie bereits Vesta, die Göttin des Herdes und der Ehe, verehrte, bis wir uns Caesars Beweggründe ansehen. Er erbaute einen Tempel für den Kult der Venus Genetrix im Jahre 46 v. Chr., da er eine Mythologie um sich und seine verwandtschaftliche Herleitung von den Göttern erschaffen wollte. Er verwob Märchen und Legenden sowie seine Herkunft mit der von Aeneas, dem Sohn der Venus, und leitete seine Abstammung von diesem mythischen Helden her. Dieser Tempel steht bis zum heutigen Tage, auch wenn er nunmehr eine schöne Ruine ist.

Conclusio

Vom Himmel zur Erde, und wieder zurück, ist Venus zu einer bedeutsamen Figur in Geschichte und Gegenwart unserer Kultur geworden. Eine Verkörperung als sexualisierte Frau aus Männerphantasien, aber eingebettet in deren Träume und Albträume. Venus könnte genausogut ein Synonym für die Frau schlechthin sein. Aber was hat die Venus vom Galgenberg oder auch die Venus von Willendorf eigentlich mit den Veneres zu tun, wenn nicht bloß als erweiterte Fortschreibung des Venuskults? Ist das die Begründung dafür, jedwede Fruchtbarkeitsfigur als Abbildung von Venus zu rezipieren? Der Kult der Venusverehrung mag mit dem Aufkommen des Christentums in Europa hinfortgefegt worden sein, aber der Einfluss ist tiefgreifend und anhaltend. Nein, sie wird nicht still und leise fortgehen.

[1] http://the-history-girls.blogspot.com/2013/03/the-ladies-of-rose-no-2-fanny-elssler.html – sourced 24th November, 2019

[2] Sie wurde mit Hilfe eines Stiels in der Erde befestigt.

[3] Painted Love: Prostitution in French Art of the Impressionist Era – Holly Clayson. Page 13